Stadtspaziergang in Rheinsberg

Um einen ersten Eindruck von Rheinsberg (5000 Einwohner) zu bekommen, bietet sich ein kleiner Stadtspaziergang an. Angekommen am Bahnhof stellt man zunächst fest, dass sich dieser nicht unmittelbar im Zentrum sondern etwas außerhalb befindet. [image:223]
Wenn man nun nach links abbiegt und auf der linken Seite einen Supermarkt passiert, gibt es zunchst die Möglichkeit wiederum nach links abzubiegen und nach wenigen Metern, in der angeblich kleinsten Brauerei Brandenburgs, als erste Einstimmung ein hausgebräutes Kronprinzenpils zu genießen. Wir gehen jedoch weiter geradeaus... und bemerken, obwohl sehr unscheinbar, man könnte fast meinen versteckt, auf der rechten Seite eine Gedenktafel die auf den am Ende des zweiten Weltkrieges von den Nazis erzwungenen Todesmarsch vieler tausend andersdenkender und jüdischer Häftlinge in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin, hinweist. Die Tafel markiert eine Stelle des Weges wo die Häftlinge auf ihrem Marsch zur Vernichtung durchgeschleust wurden. Unterwegs kamen dabei sehr viele von ihnen ums Leben.[image:224]

Wenn man nun der Straße weiter folgt und eine kleine Ladenzeile, wobei man in einem kleinen Lotto-Laden Zeitungen kaufen oder sich, wie viele der Einheimischen, dem Glücksspiel hingeben kann, passiert, liegt linker Hand eine kleine Eisdiele und ein Geldautomat.

Nach weiteren 100 Metern kommt man an eine Kreuzung an der man nach links oder rechts abbiegen kann. Wir entscheiden uns hier nach links zu gehen.
Nach wenigen Metern passiert man das Büro der Stadtjugendpflegerin und die Kurt-Tucholsky-Buchhandlung. Hierbei ist anzumerken, dass der Name Tucholskys in Rheinsberg für alles herhalten muss, was auch nur im entferntesten mit Literatur und dem damit scheinbar einhergehenden Lebensgefühl verbunden wird, entspricht.
Nach wenigen Metern findet man rechter Hand einen größeren mit Bänken umsäumten Platz, der einerseits als Marktplatz und andererseits als unansehnliche leere Fläche genutzt wird. Hier steht auch ein zweifelhaftes Denkmal, dass an die Gefallenen des ersten Weltkrieges erinnert. Umrahmt wird der Platz von einem Keramikmuseum und einer Kirche.
Im Sommer befriedigt zudem ein mobiler Crepe- und Eisstand den kleinen Hunger. Gegenüber, auf der anderen Strassenseite, sieht man einen Obelisken der an die Gestaltung der ihn umgebenden ebenso unansehnlichen Grünfläche und an den Wiederaufbau der Innenstadt, nach mehreren großen Bränden Ende des 18. Jahrhundert, erinnert. Die scheinbare historische Bedeutung Rheinsbergs wird hier zudem durch eine Tafel dokumentiert, die die Entfernung (in deutschen meilen) zu einigen europäischen Städten dokumentiert. Wirft man den Blick nun geradeaus, kann man eine Statue des Abbildes von Kronprinz Friedrich erkennen. Blickt man jedoch auf den Boden, so kann man eine im Straßenplaster eingelassene Steinplatte mit einem Hinweis auf die Bürgerinitiative für eine Freie Heide sehen, die sich gegen die Wiederbenutzung eines in der Nähe von Rheinsberg liegenden Bombenabwurfplatzes durch die Bundeswehr einsetzt und damit bisher schon etliche Erfolge erzielen konnte (link).
Auch findet man hier den Ratskeller, eine gastronomische Einrichtung der höheren Preisklasse.

Lässt man den Blick schweifen, so sieht man auf der linken Seite das, für die touristische Vermarktung bedeutendste Gebäude, Schloss Rheinsberg. In einem Seitenflügel befindet hierin sich das empfehlenswerte Kurt-Tucholsky-Museum in dem neben dessen literarischem Werdegang auch die jeweilige zeithistorische Verortung dokumentiert wird. Allerdings ist dies leider nur auf Nachfrage oder für Ortskundige gleich im ersten Anlauf zu finden. Daneben liegt das umfangreich sanierte Schlosstheater, indem neben Theaterstücken, Konzerten auch Kammeropern aufgeführt werden.

Vor dem Eingang in den Schlossgarten, der zum Verweilen einlädt, befindet sich ein einzelner Baum mit einer besonderen Geschichte. Im Wege der städtebaulichen Umgestaltung der innerstädtischen Grünflächen nach altem preussischen Vorbild wurden viele Bäume, die nicht in das neue Konzept passten, gefällt. Dieser eine Baum wurde jedoch aufgrund einer Bürgerinitiative, die die überflüssige Fällung und fehlgehende Zwangsanpassung der Grünflächen kritisierte, gerettet. [image:225]
Rechterhand findet man in einem direkt am Schlosstheater angeschlossenen Gebäude die Touristeninformation. Hier gibt es hauptsächlich regionale Werbematerialien, Konzertkarten, selbstgebranntes Geschirr mit dem Schriftzug von Rheinsberg und einige wenige Bildbände. Gefehlt hat Literatur und weitergehende Informationen über die politisch-historische Entwicklung Rheinsbergs. Die reine Fixierung auf die preussische Vergangenheit konnte auch durch die wenig freundlichen und uninformierten Mitarbeiterinnen nicht mehr wett gemacht werden. Im gleichen Gebäude ist die bekannte Musikakademie untergebracht.
Biegt man nun am Ratskeller nach rechts ab, passiert man eine von Straßen umgebene Grünfläche deren Anpassung an das neue preussische Stadtbild noch nicht vollendet wurde und noch einen gewissen DDR-Schick mit etlichen Blumenrabatten besitzt. Übrigens befinden wir uns nun auf der Deutschen Alleenstraße, welche Bedeutung dies auch immer für uns haben mag. Wenn man die Königsstraße weiter geradeaus geht und an der nächsten Abzweigung nach rechts abbiegt, passiert man auf dem Weg zu dem in Sichtweite liegenden Grienieriksee, die Stadtverwaltung. Auffallend sind hier die guten Fahrrad- und Motoradstellplätze. Diese stehen jedoch im Widerspruch zur sonstigen Erschließung des Radwegenetzes in Rheinsberg, dass praktisch nicht vorhanden ist. Auch ist positiv zu bemerken, dass man an sehr vielen Geschäften einen Aufkleber der Kampagne Aktion Noteingang sehen kann, der Schutz bei faschistisch und rassistisch motivierten Angriffen verspricht.


Am Ufer angekommen befindet sich auf der linken Seite eine Ausflugsgaststätte mit dem Namen Cafe Pavillion am See, die bei Preisen der mittleren bis oberen Kategorie jedoch gutes Essen serviert und in der wir bei unserem Stadtspaziergang eine erste Pause eingelegt haben. (link). Eine weitere Lokalität, dass Cafe Tucholsky findet man nach wenigen Metern wenn man der Uferstraße nach rechts folgt. (link) Geht man nun die Abzweigung zum See zurück und folgt der oberhalb der Grünfläche gelegenen Straße so kann man an den Häuserzeilen teilweise die alte charmante Bausubstanz aus DDR-Zeiten entdecken. Nach dem wir die Kreuzung Königsstraße Ecke Tucholskystraße hinter uns gelassen haben, kreuzt der Radwanderweg Zechlinerhütte. Neben einer möglichen Nutzung etlicher Radwanderwege, die nach Rheinsberg führen, eignet sich der Landstrich auch sehr gut für Boot- und Kanutouren, da es ein weitverzweigtes Wasserwegenetz und in nicht allzuweiter Entfernung die Mecklenburger Seenplatte gibt.


Folgt man weiter der Königsstraße, die nun zur Dr. Martin - Henning - Straße wird, und passiert linker Hand das Hotel am See und den Ruderverein Rheinsberg, so sieht man ebenfalls auf der linken Seite ein Denkmal mit Grabsteinen für die Gefallenen der Sowjetischen Roten Armee bei der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Dahinter steht das Haus der Begegnung, dass unter anderem einen Mädchentreff beherbergt. Wir gehen nun die daran vorbeifhrende Schillerstraße weiter gerade aus. Auf einem Pflasterweg, gesäumt von alten Bäumen, vorbei an Kindereinrichtungen, der Wasserschutzpolizei, der Nationalparkverwaltung und der Revierförsterei gelangt man dann auf einen parallel zum Ufer gelegenen Weg der durch ein kleines Wäldchen führt. Nachdem wir den Wassersportclub Rheinsberg hinter uns gelassen haben, biegen wir ein auf die direkt am See gelegene Reuterpromenade, die weiter zum örtlichen, touristisch bedeutsamen, Yachtclub führt. Da man an dieser Stelle, besonders in den Abendstunden, verliebte Pärchen beobachten kann, entschließen auch wir uns für ein kleines Mittagsschläfchen.


Unser erster Eindruck von Rheinsberg, bei gutem Wetter, war einerseits positiv, andererseits konnte dies den Eindruck einer doch recht provinziellen Gemeinde nicht verdecken. Dem Gefühl, sich in einem preussischen Puppenhaus zu bewegen, konnte man sich nur schwer erwehren. Der unbedingte Wille auf Teufel komm raus die glorifizierte preussische Geschichte im Jahre 2004 wieder aufleben zu lassen, verhindert einen objektiven Blick auf historisch wichtige Brüche. Das Verschwindenlassen-wollen der DDR-Vergangenheit verstärkt den Eindruck sich in einem künstlichen und nicht gewachsenen Gebilde zu bewegen. Auch fällt auf, dass Gedenkstellen wie die zum Todesmarsch oder die sowjetische Gedenkstätte im öffentlichen Raum nicht erwähnt werden. Es beschleicht einen das Gefühl, dass sich Rheinsberg, angesichts der monumentalen Wiederherstellung preussischer Geschichte, dessen schmät. Die Fixierung auf den Tourismus geht mit einer Verleugnung und dem Versuch der Negierung eigener Geschichte einher. So bleibt ein schaler Nachgeschmack in der Rentnerhochburg Rheinsberg, die kaum Gestaltungs- und Freizeitmöglichkeiten für jüngere Menschen hat, bestehen.

pho / Juni 2004