Geschichte der Hugenotten in Schwedt

Integration einer neuen Bevölkerungsgruppe

Interview mit Pfarrer Hurtienne

Hugenotten:

eigentlich Spottname, Ursprung ungeklärt, vermutliche Bedeutung: "Eidgenosse"
Einwanderer nannten sich selbst so, Bezeichnung für französische Protestanten, die wegen ihres Glaubens in den Jahren 1535-1787 verfolgt wurden

heute: alle Nachfahren von Familien, die Frankreich wegen ihres evangelischen Glaubens verlassen haben

Hintergründe für die Ansiedlung


In der Renaissance setzte die Entwicklung zur Aufklärung ein. Der Widerstand gegen die Doktrinen der katholischen Kirche wurde größer. Diese versuchte jedoch, die Entwicklung zu unterdrücken.
In Frankreich führte dies zu einer Reihe von Auseinandersetzungen, die darin endeten, daß die Krone Zugeständnisse machen mußte. 1598 wurden im Edikt von Nantes die Stellung und Rechte der Hugenotten zum ersten Mal deutlich definiert. Da die absolutistischen Herrscher Frankreichs jedoch eine religiöse Hegemonie anstrebten, wurden die pol. Rechte 1629 im sog. "Gnadenedikt" von Nimes durch Richelieu wieder zurückgenommen. 1685 wurden die religiösen Freiheiten im Revokationsedikt von Fontainebleau ebenfalls aberkannt. Aufgrund des drohenden Gütereinzugs und der religiösen Verfolgung sahen sich somit viele französische Protestanten zur Flucht gezwungen. So entstand die Bewegung der "Refugiés" (Flüchtlinge), die unter anderem einen großen Schaden für die franz. Wirtschaft mit sich brachte und eine der größten Emigrationswellen der europ. Geschichte auslöste.


Die deutschen Könige, vor allem der Große Kurfürst von Brandenburg sahen eine Möglichkeit, daß nach dem Dreißigjährigen Krieg brachliegende Deutschland durch die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte mit ihrer Kultur und ihrem Vermögen wieder zu stärken.


Mit dem Edikt von Potsdam vom 8.11.1685 suchte Kurfürst Friedrich Wilhelm die Ansiedlung der Hugenotten zu fördern. Es entstanden mehrer Siedlungen, wobei auffällig viele eingewanderte Tabakbauern die Umgebung des Markgrafentums Uckermark suchten und somit den Grundstein für eine später stark entwickelte Tabakindustrie bildeten. Viele der Zuwanderer hatten sich zunächst in der Pfalz niedergelassen, waren jedoch offensichtlich durch die Pfälzischen Erbfolgekriege wieder zur Abwanderung nach Osten gezwungen worden.


Die Entwicklung der französischen Gesellschaft in Schwedt


Schwedt (vermutlich altslawisch: swjaty, sweti, suetu) bedeutet etwa "heilig"


In Schwedt, wo der Dreißigjährige Krieg (1618 - 48) viele Verwüstungen angerichtet hatte, und nur noch etwa 15 Prozent der zuvor vorhandenen Bevölkerung zurückgeblieben war, kamen die Neuzuwanderer genau richtig, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Während und nach dem Krieg waren finanzielle Probleme im Kurfürstentum aufgetreten, was Friedrich Wilhelms Vorgänger unter anderem dazu zwang, die Herrschaft Schwedt an den Grafen Harrensbach zu verpfänden. Seine dritte Frau, Dorothea von Holstein kaufte die Stadt zu einem Preis von 26'500 Talern von diesem Grafen zurück und die Herrschaft ging auf sie über. Die Kurfürstin plante, aus der Herrschaft Schwedt einen Kurfürstensitz für ihre Söhne zu machen. Damit schuf sie für Schwedt für die Dauer eines Jahrhunderts einen Abschnitt der Blüte.


Sie bot den Hugenotten die Besiedlung dieser Region unter besonders günstigen Bedingungen an. Ihnen wurden die verlassenen Höfe und Ländereien angeboten, sie erhielten 10 "Freijahre" und gegen Zahlung eines Dienstgeldes die Freistellung von Frondiensten. Diese Freiheiten wurden als Privilegien definiert und durch ein sog. Koloniegericht kontrolliert. Als Ergebnis dieser Besiedlung entstand zum Beispiel der von der Markgrafenfamilie erbaute Berlischky Pavillon als französich-protestantische Kirche. Ebenso legten die Hugenotten in Schwedts Niederungen die sog. "Französischen Gärten" an, zu deren Bewässerung später unter anderem der inzwischen restaurierte Wasserturm genutzt wurde. Ortschaften in der Schwedter Umgebung, wie Groß- und Klein Ziethen, Berkholz und Vierraden sind fast vollständig von Hugenotten gegründete Gemeinden. 1689 starb die Kurfürstin und hinterließ in Schwedt 125 bewohnte Bürgerhäuser, statt 43, die sie nach dem Krieg vorgefunden hatte.


Wichtig für unsere Region sind dabei die von den Hugenotten mitgeführten kulturellen und wissentschaftlichen Errungenschaften. Auffällig ist unter anderem die Vielzahl der unterschiedlichen Berufsgruppen: Vom tailheur d'habits (Herren und Damenschneider) über den mestre armurier (Waffenschmied) und den chef de cuisine bis zum Webermeister, Kurzwarenkaufmann, Kleinhändler von Manufakturwaren, Wollkämmer, Chirurgen und natürlich planteur de tabac, bourgeois (Tabakpflanzer- und Bürger) waren die unterschiedlichsten Handwerke und Zünfte vertreten. Beispiele für die gehobene Lebensart der Franzosen sind das eingeführte Bier (bekanntestes Beispiel ist die "Berliner Weiße"), die heute als "Eberswalder Würstchen" bekannten "saucischen", Spargel, Blumenkohl, Weißbrot und natürlich der Tabak.
Der dafür besonders günstige Boden und das Klima in Schwedt und Vierraden war der Schlüssel für die Entwicklung vieler vom Tabakanbau abhängiger Wirtschaftsgruppen:
Tabakplanteure, Tabakkaufmänner- und Fabrikanten, Hersteller von Kau- und Zigarrentabak. Unter Dorotheas Nachfolger, ihrem ersten Sohn Philipp Wilhelm, entwickelte sich Schwedt zu der sog. "Perle der Uckermark". Während seiner Regentschaft entstanden unter anderem die ersten Tabakspeicher, er veranlaßte auch den Bau des Berlischky Pavillons.


Die Familie Harlan (Abraham und Jakob H.) betrieb unter anderem eine Schnupf- und Rauchtabakfabrik auf dem Gelände des heutigen Flinkenbergs mit 188 Beschäftigten und Lagerraum für 25'000 Zentner Tabak. Im Jahre 1800 gab es in Schwedt 310 Bürgerhäuser, 4196 Einwohner, davon 198 französische Refugiés, außerdem 374 bestellte Morgen Tabak, die etwa 2619 Zentner (etwa 130 Tonnen) Ertrag einbrachten, 3 Tabakfabriken beschäftigten 316 Mitarbeiter, 75 Tabakpflanzer (Planteure) und 11 Tabakspinner. Damit waren die französischen Zuwanderer ein herausragendes Beispiel für die wirtschaftliche Kompetenz und die Integrationsfähigkeit der Hugenotten in Brandenburg. Am 7. Juni 1810 entstand eine neue Städteordnung mit einem neuen Magistrat, dessen Leitung der Fabrikbesitzer Louis Jacques Harlan übernahm. Dies zeigt, daß trotz anfänglicher Trennung zwischen den Bevölkerungsgruppen, die Assimilation zu diesem Zeitpunkt bereits soweit fortgeschritten war, daß ein französischer Protestant eine sehr einflußreiche Position erreichen konnte.


Nach ca. 100 Jahren waren die Hugenotten auch sprachlich soweit assimiliert, daß sie meistens nur noch am Namen erkennbar waren und bis heute zu erkennen sind.
Die Hugenotten brachten somit wichtige kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Güter nach Schwedt. Unter diesen Gesichtspunkten und der Berücksichtigung der beispielhaften Symbiose der französichen Kultur mit der brandenburgischen Lebensart, kann man die Integration der französichen Flüchtlinge in die uckermärkische Gesellschaft durchaus als eine erfolgreiche Assimilation ansehen. Die vollständige Integration einer neuen Bevölkerungsgruppe war in der Geschichte bis dahin fast immer gescheitert. In diesem besonderen Fall wurde sie durch die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges gefördert und durch den Nutzen des französischen Kulturgutes für das verwüstete Brandenburg unterstützt.
Es sei jedoch noch erwähnt, daß auch in diesem Fall die typischen Integrationsprobleme bei der Ansiedlung einer andersartigen Bevölkerungsgruppe auftraten. Die Privilegierung der Hugenotten gegenüber einigen Einheimischen und ihr sozialer Erfolg blieben nicht unbeachtet und erzeugten, wie schon so oft, Neid und persönliche Distanzierung gegenüber den Zuwanderern. Die Tatsache, daß dieses Phenomen nicht so stark auftrat und daß die Region im komplexen Zusammenhang von den Zuwanderen profitierte, war wahrscheinlich ausschlaggebend für die geglückte Integration und letztlich Assimilaton der französich- protestantischen Flüchtlinge.


Quellen:

1. Hans Hurtienne: Schwedt und die Hugenotten, Schwedter Jahresblätter. Heft 4/1983, Schwedt: Druckerei "Neuer Tag" 1983, Seiten 26 bis 29

2. Schwedter Jahresblätter. Heft 8/1987, Schwedt: Druckerei "Neuer Tag" 1987

3. Erich Westermann (Stadtarchivar): 700 Jahre Stadt und Herrschaft Schwedt, Stadtarchiv Schwedt/Oder 1936

4. Brockhaus. Die Enzyklopädie, Zwanzigste, überarbeitete und aktualisierte Auflage Band 10 HERR-ISS, Leipzig - Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH, 1997

bearbeitet von Peter Günther

Schwedt "slawisch"

Der Name von Schwedt ist weder "slawisch" noch strittig, in der Widukind Chronik 955 wird Schwedt zweifelsfrei als "Suitleiscrane" bezeichnete, was altnordisch "Tal wo die Sueben wohnen" bedeutet und sich mit dem dort ansässigen germanischen Stamm der Sueben deckt. Ein Teil des Names ist bis heute in Nieder "Kränig"(crane) erhalten. Die Deutung "slawisch" ist reine Fantasie und nur ideologisch begründet.